Paul Cramer im Interview

Im August habe ich im Urlaub einen wunderbares Thai-Massage-Seminar bei Paul Cramer besucht. Ich nutzte die Gelegenheit, um mit Paul für dieses Blog über seinen bisherigen Lebensweg und seine Yoga-Praxis zu sprechen.

Paul, kannst Du Dich meinen Lesern kurz vorstellen?

Meine Name ist Paul Cramer. Ich komme aus Kanada und lebe im westlichen Kanada — genauer: in Edmonton, Alberta. Eine eher ländliche Gegend mit vielen Farmen, Kühen und allem, was sonst noch dazugehört.

Ich bin viel in Kanada rumgekommen und habe an vielen Orten gelebt, zum Beispiel im französisch geprägten Montreal, aber auch in Ontario und Toronto. Eine Zeit lang hat es mich auch ganz in den Norden verschlagen, wo ich mit den Inuit gelebt habe. Ich reise sehr gern, weil Kanada so ein facettenreiches Land mit vielen, sehr unterschiedlichen Menschenschlägen ist.

Bevor ich Massage-Therapeut wurde, war ich IT-Spezialist und betreute als Manager im gesamten Norden Informationssysteme von Schulen.

Die IT-Branche und traditionelle Thai-Massage sind ja zwei sehr verschiedene Welten. Wie und wann kam es zu diesem Berufswechsel?

Eines Tages besuchte ich meine Familie in Ontario und gönnte mir dort eine Massage. Meine Masseurin fragte mich, ob sie ein paar neue Techniken ausprobieren dürfte. Sie hatte gerade einen Wochenend-Workshop besucht, der sich mit etwas beschäftigte, was sich Thai-Massage nannte. Ich sagte: »Ja sicher, warum nicht?«

Sie hatte mich gerade mal 10 Minuten massiert und da passierte es. Genau erklären kann ich es bis heute nicht — vielleicht ist es so etwas wie Karma oder die Erinnerung an ein früheres Leben. Auf jeden Fall wusste ich sofort, dass es das ist, was ich machen möchte, und dass ich nach Thailand gehen muss.

Nach dem Ende meines Familienbesuchs fragte ich zu Hause meinen Vorgesetzten, ob ich meine Weihnachtsferien verlängern und einen Monat Auszeit nehmen könnte. Wie alle IT-Spezialisten hatte ich genug Überstunden.
Der Urlaub wurde genehmigt und ich reiste nach Thailand, ohne eigentlich zu wissen, wo und wie ich mit dem Studium anfangen sollte. Ich kannte weder Lehrer, noch wusste ich viel über Thai-Massage. Also begann ich rumzufragen: Wo kann ich Thai-Massage lernen? Wo finde ich gute Lehrer? Das ist jetzt gut 10 Jahre her. Da war ich 39.

Wie ging es dann weiter?

Zurück in Kanada habe ich erst einige Jahre Thai-Massage praktiziert und bin dann noch mal nach Thailand gereist, um mehr zu lernen. Nach meiner Rückkehr zog ich nach Montreal und arbeitete dort ungefähr 6 Jahre mit einer Schule zusammen.

In dieser Zeit spürte ich, dass ich auch gerne meinen eigenen Stil unterrichten möchte, was ich dann auch tat. Leider nahm das etwas überhand, so dass ich das starke Gefühl bekam, selbst zu wenig aktiv zu praktizieren. Ich zog also nach Edmonton, wo ich heute auch lebe.

Dort arbeite ich für zwei Massagepraxen, gebe an sechs Tagen pro Woche Massagen und unterrichte nur noch gelegentlich. Das sind dann zumeist Einzelstunden für Menschen, die Thai-Massage nur für sich privat anwenden wollen.

Paul Cramer bei der Vorführung fortgeschrittener Massage-Techniken

Nun unterrichtest Du Thai-Massage auch in Deutschland bei Yoga Vidya. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Es klingt vielleicht seltsam, aber die Yoga-Community ist sehr klein und sehr groß zugleich. Als ich noch mit der Schule in Montreal zusammengearbeitet habe, gab es jemanden, der dem Sivananda-Ashram vor den Toren Montreals sehr verbunden war. Er kannte Yoga Vidya und sagte zu mir: »Ich glaube, Du solltest Kontakt mit Yoga Vidya in Deutschland aufnehmen. Sag, Du würdest gerne nach Deutschland kommen und dort unterrichten.«

Was ich dann auch tat. Das war vor sechs Jahren. Ich sprach mit Swami Sharadananda. Sie lud mich sofort ein und es war von Anfang an fantastisch. Ich fühle mich hier sehr wohl, obwohl die deutsche Sprache sehr schwierig ist. Aber bislang war das irgendwie nie ein großes Problem.

Ich habe Dich beim Satsang getroffen. Übst Du neben Deinen Thai-Massagen noch regelmäßig Yoga, vielleicht sogar täglich?

Ja, sicher. Da ich sehr viele Massagen gebe, ist das für mich sehr wichtig. Ich meditiere also viel, auch in Kombination mit Atemübungen. Außerdem nutze ich Energielenkungs- und -aufladungsübungen. Ich arbeite viel mit Menschen, und das ist sehr intensive Energiearbeit. Die Energieübungen helfen mir, damit gut umgehen zu können und nicht auszubrennen. Das ist ein großer Teil meiner Praxis, aber ich übe auch Asanas.

Da ich aber fünf bis sechs Massagen am Tag gebe und jede Massage wie eine Yogaeinheit ist, praktiziere ich nicht so viele Asanas. Darüber hinaus fühle ich mich sehr der Tradition der Thai-Massage verbunden. So ist es ein wesentlicher Bestandteil meiner Praxis, den Lehrern und Menschen Thailands täglich meinen Respekt zu erweisen. Wir haben ja am Anfang des Unterrichts zusammen das kleine Gebet gesprochen.

Außerdem richte ich mir auch auf Reisen immer einen kleinen Altar mit Kerzen und anderen Dingen ein. Jeden Tag nehme ich mir dann die Zeit und bitte um Hilfe und Führung durch die Lehrer.

Wie gehst Du mit Problemen in Deiner täglichen Praxis um, wenn zum Beispiel die Meditation sehr unruhig ist oder Du nicht genau weißt, wie Du einem Massage-Kunden helfen sollst? Hast Du bestimmte Techniken oder einen Lehrer, den Du um Rat fragen kannst?

Das ist eine wirklich gute Frage. Zunächst: Ich richte jeden Tag ein Gebet an den großen Lehrer [gemeint ist Jivaka Kumar Bhaccha als Begründer der traditionellen Thai-Massage]. Momentan habe ich ansonsten keinen »richtigen« Lehrer, fände es aber sehr gut, einen konkreten Ansprechpartner zu haben. Immerhin kenne ich viele Menschen, die ich respektiere und um Rat fragen kann. Ansonsten: Wenn Probleme auftauchen, intensiviere ich meine Meditationspraxis.

Bei Deiner Frage bezüglich der Massage-Kunden musste ich etwas schmunzeln. Ich denke, es ist eigentlich nie einfach. Das klingt jetzt vielleicht etwas altmodisch, aber als Anfänger dachte ich immer: »O.K., ich muss einfach jede Massagetechnik und jede Energielinie kennen, und alles wird gut.« Heute, zehn Jahre später, habe ich verstanden, dass es mich nicht wirklich weiterbringt und niemandem hilft, wenn ich alles weiß.

Heute versuche ich in jede Behandlung mit der Vorstellung zu gehen, dass ich wirklich keine Ahnung habe, was zu tun ist. Denn wenn man das Gefühl hat, man wüsste alles, verändert das die Art, wie man mit dem Kunden und seinen Problemen umgeht. Ich bemühe mich daher, mit Herz und Verstand so offen wie möglich zu sein und zu schauen: Was stimmt nicht? So kann ich empfänglich für das sein, was in der konkreten Situation da ist.

Ich finde, dass ist ein prima Schlusswort. Vielen Dank für das Interview und den tollen Workshop.

Update 29.11.2010

Bei YouTube habe ich noch dieses schöne Video gefunden. Kurz vor seiner Reise nach Deutschland wurde Paul von einer Reporterin des Edmonton Journal im Lion's Breath Yoga Studio besucht.

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